ITM-Turnier 2021

Von Säbelzahntigern, einem Profikiller und dem Cockpit eines Kampfjets

5 x 25 „voll“, sogar gleich die ersten Hundert am Stück.

Dazu eine 21, in den übrigen sieben Runden insgesamt nur zwei Fehler.
Was für ein kurioser Wettkampf, mit einem tollen Ende und dem insgesamt 4. Sieg beim diesjährigen ITM-Turnier, dem International Trap Meeting in Wiesbaden!

Dabei fing das Wochenende gar nicht mal so gut an:
Direkt vor dem Losfahren nahm ich mit morgendlichem Schwung den Warmhalte-Kaffeebecher aus der Tüte vor dem Beifahrersitz, hatte jedoch in der Küche nach dem Einfüllen vergessen, den Versiegelungsknopf im Deckel zu drücken, so dass nicht ich, sondern meine Hose die ersten, heißen Schlucke Kaffee nehmen durfte.
Tolle Sache!
Mit einer Dosis Koffein ist wenigstens die Hose schlagartig „wach“…
Naja, und ich dann auch, leider ungewollt!

Natürlich kommt einem dann automatisch der Gedanke „na, das geht ja gut los heute!“
Früher in meiner Karriere hätte mich diese kalte (heiße!) Dusche sicher stärker mitgenommen, und der Wettkampf wäre wahrscheinlich genauso „in die Hose“ gegangen wie der Kaffee.

Im Laufe der Zeit lernt man aber, Dinge richtig einzuschätzen, speziell was ihre Wertigkeiten angeht, so banal das klingt:
Dieses plötzliche, schlechte Gefühl „heute geht alles schief!“ hat nur dann Macht über Dich selbst, wenn Du dem auch nachgibst.
Wenn Du an „höhere Mächte“ glaubst, die „gegen Dich“ sind oder Deine Leistung beeinflussen, auf welche Weise auch immer.

Aber, mal ehrlich:
Was für eine (wissenschaftliche) Grundlage gibt es, zu denken, Kaffee auf der Hose verhindert, im richtigen Moment abzudrücken und die Scheibe zu pulverisieren?
Keine!
Der (ablenkende) Gedanke daran, in Deiner unmittelbaren Vorbereitungsphase auf den Schuss oder noch schlimmer: in dem Augenblick, in dem Du mit der Flinte im Anschlag stehst und die Scheibe abrufst, aber schon. Denn dann, und nur dann, bist Du unkonzentriert, lässt Dich mitnehmen von diesem irrationalen Anflug, dem Teufelchen, das auf Deiner Schulter sitzt und ruft „das wird nix! das wird nix!“

Nein!
Du hast es selbst in der Hand, für den Treffer zu sorgen, genau in diesem Moment.
Und dazu musst Du tun (und vor allem denken!), was nötig ist.
Sich im entscheidenden Moment mit Kaffee, ob auf der Hose oder in der Tasse, zu beschäftigen, gehört jedoch NICHT dazu…

Und so startete ich mit einer absoluten Top-Form in das ITM:
Die ersten drei Serien je 25 „voll“, und von diesen 75 Treffern 74 davon mit dem ersten Schuss.

Die vierte Runde liest sich in der Ergebnisliste ähnlich gut:
Wieder 25.
Die Art des Zustandekommens dagegen war diesmal eine ganz andere:
Schon nach den ersten Scheiben meldeten sich die Fußzehen meines linken Fußes mit einem Krampf. Magnesiummangel!

Ich hatte zwar wie üblich im Wettkampf innerhalb der Runde(n) genügend getrunken, in den recht kurzen Pausen offensichtlich aber nicht, und das Missverhältnis in meinem Mineralstoffhaushalt brachte meine Konzentration und auch die Koordination jetzt ordentlich durcheinander.
So war ich für den Rest der Runde notgedrungen mehr mit Dehnen meiner Muskulatur beschäftigt, als mit der Konzentration auf die nächste Scheibe.
Dehnte ich aber meine Zehen, kam direkt der nächste Krampf in meiner linken Wade.

Irgendwann Mitte der Runde hatte ich zum ersten Mal überhaupt beim Schießen sogar einen ganz leichten Krampf im kleinen und vierten Finger der rechten Hand.
Wenn das so weiter ging, hätte ich wahrscheinlich bald die Flinte nicht mehr richtig anheben können, und wie sich jeder denken kann, ist spätestens jetzt die Konzentration aufs Wesentliche, auf die Scheibe, extrem gestört.

Eine Auszeit zu nehmen wie in so manchen Ballsportarten ist bei uns nicht vorgesehen, also musste ich die Zähne zusammenbeißen (das ging zum Glück noch!) und so gut es ging weitermachen, Dehnen – Konzentrieren, Dehnen – Konzentrieren…

Meine große Erfahrung in vielen internationalen wichtigen Wettkämpfen half mir in diesen Momenten sehr, mich in den entscheidenden Sekunden bestmöglich zu fokussieren und alles andere, jeden Krampf oder auch nur den Gedanken daran, auszublenden, um einfach nur „die nächste Scheibe“ zu treffen.
Und zum Glück „kamen“ dann auch die Treffer zwei, die ich in den ersten drei Runden noch nicht brauchte, wie Blücher’s Preussen anno 1815 in Waterloo, als die Schlacht gegen Napoleon schon fast verloren schien!

Jeder Wurfscheibenschütze, der schon einmal eine perfekte 25 geschafft hat oder auch nur nah dran war, kennt die Situation:
Je näher man an das Ende der Runde, die 25, kommt, umso stärker nehmen die Gedanken „nur noch drei, nur noch zwei, jetzt noch die letzte treffen, dann habe ich VOLL!“ Raum ein, beherrschen das Denken.
Diese Gedanken dann richtig zu verarbeiten und sich in der entscheidenden Sekunde des Abrufs der Scheibe innerlich fokussieren zu können, ist dann die größte Herausforderung.

Irgendwann, wenn man (noch) besser wird und weiter kommt, ist dann die „25“ keine wirkliche Sensation für das eigene Ich mehr, die nervliche Belastung bei den letzten Scheiben nicht mehr so dramatisch.

Das verlagert sich dann immer weiter:
Auf die Scheiben 45 – 50, wenn man mal die Chance hat, 2 x 25 am Stück zu treffen.
3 x 25.
Oder eben 4 x 25, was auch bei mir nicht alltäglich ist.

Neu war für mich aber bei allen durchgestandenen großen und kleinen Wettkämpfen der letzten 40 Jahre, mich in den letzten Scheiben vor den „Hundert voll“ so gar nicht um das perfekte, phantastische Ergebnis zu kümmern, sondern – gezwungenermaßen – nur darum, die Krämpfe gedanklich in den Hintergrund zu schieben, um irgendwie die nächste Scheibe treffen zu können, worüber ich jeden Gedanken an die Hundert komplett vergaß.

Erst bei den letzten beiden Scheiben, der 99. und 100., kam mir dann der Gedanke „noch zwei, noch eine, dann…!“
Und selten in meinem Leben wollte ich eine Scheibe mit solcher Inbrunst, solchem unbändigen Willen treffen wie diese beiden, wollte mir dieses perfekte Ergebnis nach einer wirklich schwierigen Runde nicht auf den letzten Metern noch kaputtmachen lassen.

Die letzten Scheiben waren denn auch regelrecht Antimaterie, nachdem ich mit ihnen „fertig“ war:
25, 25, 25, 25 = 100, nicht nur auf das nackte Resultat, sondern besonders auf die Art, wie ich es hier geschafft habe, darauf bin ich wirklich stolz!

H.W. Schlick, W. Schanz und C. Fink
Gruppenbild mit Hans Werner Schlick und Claus Fink, nach erfolgreichem Daumendrücken!
H. Wagner u. W. Schanz
Hans Wagner, den ich schon so lange ich selbst schieße, kenne, ein starker Schütze meiner Anfangszeit, schön Dich mal wieder zu sehen, Hans!

Wer die Ergebnisliste gelesen hat, weiß, dass Runde fünf dann alles andere als perfekt war:
21, was für ein Absturz!

Dennoch konnte ich im Nachhinein nicht wirklich böse über mich selbst sein, weil es eine einfache Erklärung dafür gab, die mich im Hinblick auf den zweiten Tag zuversichtlich stimmte:
Wenn Du denkst, Du kannst es, denk lieber nochmal drüber nach…!

Ich hatte natürlich die Pause nach der vierten Runde genutzt und mir Magnesiumtabletten besorgt (danke, Werner!), eine Banane gegessen, sämtliche Flüssigkeitsspeicher aufgefüllt, u. a. mit einem isotonischen und selbstverständlich alkoholfreien Weizenbier.

Die ersten Scheiben in Runde fünf waren dann auch sicher getroffen, ich fühlte mich körperlich wieder wohl und fit.
Die vierte dagegen, ebenso wie die 7. und 10. Scheibe, landeten aber gemächlich und unbeschadet in einem Stück. Wäre das ITM ein Comic, hätte der Zeichner ihnen wohl ein spöttisches Grinsen auf den Deckel spendiert, mir dagegen ein fassungsloses Staunen…

Wie konnten in dieser Runde innerhalb so kurzer Zeit drei Fehler passieren, nachdem man unter z.T. schwierigsten Bedingungen hundert hintereinander abfängt?
Ganz einfach:
Indem man sich selbst einlullt, sich zu sicher ist!

Der natürlich nicht bewusste, aber sich unterschwellig ausbreitende Gedanke „so wie ich heute drauf bin, kann ich gar nicht mehr vorbeischießen, besonders, wenn ich jetzt körperlich wieder fit bin!“ hat dazu geführt, ein paar Prozent an Konzentration nachzulassen.

Und das war der Hauptgrund, nicht nur einen, sondern tatsächlich drei Fehler zu schießen, bis ich endlich aufwachte aus meiner Lethargie und Selbstzufriedenheit, und mich ab diesem Moment wieder voll konzentrierte, mit allem, was ich hatte.
Ein Fehler kam am Ende noch dazu, und auch der war vermeidbar, denn wenn man kurz vor der Konzentrationsphase nochmal denkt „jetzt hab ich’s wieder und bin fokussiert“, dann ist man genau das nicht, wenn man nicht aufpasst und gegensteuert.

Weil mir aber genau diese Zusammenhänge schon in der Runde – wenn auch erst nach dem dritten Fehler – klar wurden aufgrund meiner langen Erfahrung, konnte ich die richtigen Lehren ziehen, um mich am zweiten und entscheidenden Wettkampftag wieder voll motiviert und konzentriert ins letzte Gefecht um Waterloo zu werfen..!

Der Rest des Vorkampfes ist dann auch schnell erzählt:
Die erste Runde des zweiten Tages waren hochkonzentrierte und sehr fokussierte 25 Treffer eins.

Danach folgte eine 24, einmal konnte ich die Konzentration unmittelbar vorher nicht entscheidend hoch fahren. Das kann immer mal passieren.

Und auch in der letzten Serie kam eine Scheibe „durch“, bei diesmal drei Treffern zwei, die aber allesamt sehr sicher waren:
Ich hatte gute Abläufe, die aber koordinativ nicht genau genug für den Treffer im ersten Schuss waren, aber nahe dran, und der zweite Schuss war dann keine große Kunst mehr, alles im Rahmen.

25, 25, 25, 25, 21, 25, 24, 24 = 194 / 200.

Finale
Im Finale zählte der „alte“ Modus, d.h., das Vorergebnis über 200 Scheiben wurde als Grundlage gewertet und die 25 Scheiben im Finale (mit einem Schuss pro Scheibe) wurden addiert, was eine Wertung über insg. 225 Scheiben ergab.

Vorstellung Finale beim ITM 2021
Die Vorstellung der Finalteilnehmer beim ITM 2021

Ich hatte nach dem Vorkampf eine Scheibe Rückstand auf Onofre Notebaert, den zwei Tage lang sehr stark schießenden, führenden Belgier und Weltcup-8. von Osijek.

Von Beginn an gab ich alles, warf meine ganze Erfahrung zahlloser internationaler Finals in die Waagschale und war dementsprechend fokussiert, um die eine Scheibe aufzuholen.

Die erste Finalscheibe beim ITM 2021 von Waldemar Schanz
Hier beginne ich das Finale mit meiner ersten Scheibe, der Linken von Pos. 5

Gleich als erste Finalscheibe direkt die scharfe Linke – kein Problem, dann zwei flache Grade – sicher.

Auf Position 3 die flache, scharfe Rechte – leicht vorne getroffen, dennoch auch die sicher und mit Übersicht.
So ging es weiter, eine nach der anderen.
Notebaert machte dann relativ früh bei Scheibe 6 einen Fehler, wodurch wir gleichauf lagen.
Ich registrierte das und zog weiter durch bis zur 14. Scheibe, der hohen Linken von Position 3.

Fast alles machte ich richtig:
Nahm die Scheibe ruhig an, schloss während der Beschleunigung meiner Flinte die Wahrnehmungsphase bis hin zum deutlichen Erkennen rechtzeitig ab.

Ich hatte die Scheibe so klar im Fokus wie ein F-35-Kampfpilot das feindliche Ziel in seinem HUD-Display, und – schoss dennoch verdammt knapp darunter und dahinter!
Ich war also zwar in der Flugbahn, drückte aber einen Tic zu früh ab.
Schade, aber nicht mehr zu ändern und nichts, worüber ich mich auch nur einen Moment ärgern musste.
Passt meine Wahrnehmung so gut wie in diesem Fall, dann schieße ich nur extrem selten die Scheibe vorbei, denn dann habe ich genügend Übersicht und kann meine Koordination voll ausspielen, und die lässt mich nach 40 Jahren Training wirklich selten im Stich.

Auch wenn ich die letzten Jahre tatsächlich kaum noch trainiere und meist nicht mehr als das offizielle Wettkampftraining am Tag zuvor absolviere, z.T. zwei Monate gar nicht schieße, stattdessen eher Koordinationsübungen u.a. mache.
Aber ein solcher Koordinationsfehler kommt leider auch mal vor, und wenn ich mich dann zu lange damit aufhalte, kostet mich das die Konzentration auf die nächste(n) Scheibe(n).

Zu erkennen und zu akzeptieren, dass man niemals perfekt sein kann, gehört nicht nur zum Leben, sondern auch zum Reifeprozess eines Sportlers.

Oder, wie das John Rain sagt, der von Barry Eisler ersonnene, amerikanisch-japanische Profikiller mit Gewissen und Vorliebe für edlen Whisky:

„Manchmal muss man sich eben daran erinnern, dass Perfektion der Feind der Qualität ist.“

Wer es bis hierher geschafft hat, der weiß nun, woher ich meine eigene Vorliebe für Single Malt Whisky habe!

Ob die Einstellung eines Profikillers im Finale helfen kann:
Sicher.

Eiskalte Fokussierung auf den Auftrag, das Ziel zu eliminieren und sich durch nichts davon abbringen zu lassen.

Alles Weitere aber überlasse ich sehr gerne der Literatur und Schriftstellern wie Eisler…!

Notebaert war also nach meinem Fehler wieder „die Eine“ vor,  was er sicher auch mitbekam.
Die Frage war:
Konnte der Belgier den Fehler seines härtesten Gegners und die zurückgewonnene eigene Führung verarbeiten, innerlich „durchatmen“, ohne darüber selbst seine eigene Spannung zu verlieren, sich zu sicher zu fühlen?

Ich wusste:
Jetzt trat das Finale in seine entscheidende Phase, denn die letzten 10 Scheiben ist jede einzelne noch wichtiger als die vorhergehende, weil man immer weniger „übrig“ hat, um einen eventuellen Fehler noch ausgleichen zu können.
Und der Konkurrent immer weniger Möglichkeiten hat, selbst Fehler zu machen und einem „in die Karten zu spielen“.

Der Druck stieg immer weiter.

Die 14. Scheibe für Notebaert, direkt nach meinem Fehler:
Treffer.

Scheibe 15, wir trafen beide.

Die 16.:
Ich traf, ging zielstrebig von Position 5 auf 1, während Notebaert abrief, schoss und „KLING!“ der Fehlerton drang wie eine Fanfare in mein Bewusstsein!

Wieder hatte ich im Gesamtergebnis aufgeschlossen zu ihm, was ein Shoot-Off erzwungen hätte.

Der „Profikiller“ in mir war sich nun sicher:
Wenn ich jetzt dran blieb, den Druck hoch hielt durch eigene Treffer, würde mein Konkurrent in diesen letzten Finalscheiben, unter dem Eindruck der grade wieder hergeschenkten Führung, noch einen weiteren Fehler produzieren.

Die 17., 18. und 19.:
Kein Fehler bei uns beiden, ein zähes, mentales Ringen um die Vorentscheidung.

Jede Scheibe als Kulmination zweier harter Wettkampftage, jeder Fehler jetzt höchstwahrscheinlich dramatisch in seinen Konsequenzen.

Scheibe 20:
Die Anlage serviert mir auf Position 4 die hohe Halblinke, ich ziehe etwas zu hart an, kann aber frühzeitig meine unpräzise Bewegung korrigieren und treffe noch sicher.

Ich fange die Hülse und lasse sie in einer fließenden Bewegung in den Eimer gleiten.
Danach verharre ich auf meiner Position, bis Notebaert schießt, um auf die fünf zu wechseln.

KLING!
Das war sein dritter Fehler!

Keine Ahnung, welche Scheibe es war, egal, ich war zum ersten Mal seit der vierten Serie am ersten Tag wieder vorne, und ab sofort hieß es für mich NICHT:
Die endlich wiedererlangte Führung verteidigen.

Sondern vielmehr:
Jede einzelne der restlichen Scheiben unabhängig voneinander und für sich treffen, ein Ziel nach dem anderen eiskalt eliminieren!

Was vordergründig auf das Gleiche hinausläuft.
Psychologisch gesehen aber einen Riesenunterschied macht.

Das Eine ist eine defensive Einstellung, die eher nach hinten gerichtet ist.
Das Andere ist die offensive Grundhaltung, die immer ein gewisses Risiko einschließt, aber verhindert, gehemmt oder zaghaft zu handeln.

Und wer zögert, verliert, wenn es hart auf hart kommt.

Man gewinnt nicht durch bessere Technik.
Die ist nur die (wichtige) Grundlage.
Sondern durch mentale Stärke, die größere Wettkampfhärte, die Einstellung.

Und was ganz sicher eine absolut untergeordnete Wertigkeit hat, ist das Alter des Schützen!
Auch wenn das leider immer mal wieder, besonders von offizieller Seite, angeführt wird.
Als Schütze wird man in Deutschland leider schon mit Mitte 40 für „zu alt“ befunden, unabhängig von der Leistung.
Die Dressurreiter widerlegen das in perfekter Regelmäßigkeit und seit vielen Jahren bei Olympia, sichtbar für die Augen der Weltöffentlichkeit.

Und auch wenn ich kein Reiter bin und das auch niemals werde:
Niemand sollte sich erdreisten, einem professionellen Reiter, egal welcher Disziplin, eine geringere körperliche Fitness (oder die Notwendigkeit einer solchen) zu attestieren als einem Schützen.
Wer auf hohem Niveau reitet, muss körperlich fit sein, aber nicht zwingend „jung“, wie immer man das definiert.

Und um zu gewinnen, ist die Klarheit im Kopf eine unabdingbare Voraussetzung.
Jugendlicher Elan ist schön und kann helfen.

Aber Erfahrung und Routine sind in Bezug auf Wettkampfhärte und auch Nervenstärke derart wichtige Grundpfeiler des Erfolgs, dass man niemals darauf verzichten sollte, wenn die Leistung stimmt, schon gar nicht ohne Not.

Und das gilt nicht nur für Sportarten wie Reiten.
Sondern auch für das Schießen. 

Beispiele gefällig?
Bitte:
Abdullah Al Rashidi (KUW), der grade bei Olympia in Tokio Bronze im Skeet gewann, mit 57 (in Worten: siebenundfünfzig!) Jahren…
Oder auch Fehaid Al Dehaani (auch aus Kuwait), ein „alter“ (haha!) Konkurrent von mir, der 2016 in Rio mit 50 Jahren Olympiasieger wurde, als Doppeltrap letztmalig ausgetragen wurde.

Zurück zum Finale:
Ich war nun also eine Scheibe in Front und hatte noch ganze fünf zu treffen.

5 x voll konzentrieren, den erlernten Automatismen ihren Lauf lassen und gleichzeitig wachsam bleiben, um Störungen im inneren Ablauf sofort korrigieren zu können.
Im vielzitierten „Flow“ sein und vor allem:
da auch bleiben, eine der schwersten Aufgaben überhaupt.

Der Flow, ein wichtiges Thema in meinem Studium an der Trainerakademie und von mir immer wieder thematisiert in meinen Coachings, auch wenn es dort sehr oft, je nach Schütze, noch um technische Grundlagen geht. Um den Zusammenhang von Bewegung(en) und Wahrnehmung und dem alles entscheidenden Erkennen der Scheibe (Stichwort HUD-Display in der F-35, siehe oben).

Und wieder half mir meine Erfahrung mit solchen Situationen.
Ich war und blieb stabil im „Tunnel“:
Die Scheiben 21, 22, 23 und 24 hatten keine Chance.
Notebaert hatte seinen dritten Fehler weggesteckt und war nun selbst im Jägermodus, blieb dran, was ich erwartet hatte.

Die letzte Scheibe entschied also, Sieg oder Shoot-Off und am Ende vielleicht ja doch noch die Niederlage.
In solchen Situationen, wenn eine einzelne, allerletzte Scheibe entscheidet, versucht man unwillkürlich fast immer, „auf Nummer sicher“ zu gehen oder es tritt das genaue Gegenteil ein:
Man verliert die innere Übersicht und handelt chaotisch und hektisch.
Der klassische, in der Urzeit der Menschheitsgeschichte angelegte Kampf- oder Fluchtreflex.
Flüchten geht nicht (geht schon, aber wer würde hier auf die letzte freiwillig verzichten…?).
Also kämpfen!
Wild und unkontrolliert, mit dem Messer in der Hand brüllend auf den Säbelzahntiger zustürzen und dabei am besten noch mit dem Fuß in einer Wurzel verfangen, lang hinschlagen und die offene Flanke präsentieren?
Das wäre gleichbedeutend damit, den Sieg herzuschenken.

Deshalb heißt es hier besonders:
Cool bleiben und sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Auch in diesem Moment nichts weiter tun, als den Automatismen ihren Lauf lassen bei gleichzeitig vollem Fokus.
Eigentlich ganz einfach.
Eigentlich!

Und dann schießt mein Vordermann seine letzte.
Ich bin dran!

Der Säbelzahntiger tritt aus dem Dickicht und starrt mich an, die langen Fangzähne blitzen.
Ich nehme die Flinte hoch, richte sie auf meinen Haltepunkt ein, kontrolliere den Blickpunkt, und im nächsten Augenblick sitze ich auch schon in meinem inneren F-35-Cockpit, Zielerfassung: Aktiviert!

Die Zeit scheint einen Moment stehen zu bleiben.

Dann zerreisst mein Abruf die Stille.
Die Scheibe wird aus dem Bunker katapultiert.
Ich nehme ihre Parameter Winkel und Höhe wahr, eine halbhohe Rechte, die Koordination, mein alter und treuer Begleiter, übernimmt das Ruder meines Kampfjets Krieghoff, dann wechselt das Zielbild in meinem inneren Display von Rot auf Grün, der Flow lässt mich den Abzug drücken, und die Scheibe – platzt in tausend Stücke.

Sieg!

Finalergebnisse ITM 2021
Die Finalergebnisse des ITM 2021 im Detail

Autorennen, Bungee-Jumping, Fallschirmspringen?
Gut und schön.

Mir aber reicht ein solcher Wettkampf:
Die Anspannung, das Adrenalin, das sich langsam aufbaut, das man kanalisieren muss und das im besten Falle auf direktem Weg zum Duell mit dem Säbelzahntiger führt.

Und genauso aufregend ist es für mich als Trainer, wenn ein von mir gecoachter Schütze „seinem“ Säbelzahntiger gegenüber tritt, sich ihm stellt, mit den Werkzeugen, die wir gemeinsam erarbeitet haben, und ihn erlegt.

Auch deshalb liebe ich, was ich tue!

Zur Ergebnisliste des ITM 2021

Die ersten Drei beim ITM 2021: Ole Kristensen, Waldemar Schanz, Onofre Notebaert
Die ersten Drei beim ITM 2021: Ole Kristensen, Waldemar Schanz, Onofre Notebaert

Mit diesem Sieg konnte ich das ITM bereits zum vierten Mal gewinnen, nach
2003 (195 + 25),
2007 (189 + 25) und
2018 (189 + 22),
was aktuell Rekord bedeutet.

Auch ganz nett!

Übrigens:
Wo lag eigentlich noch Waterloo?
In Belgien, ja tatsächlich!